Am Weihnachtsmarkt eine Tasse Glühwein, beim Apéro ein Glas Prosecco, am Weihnachtsessen eine Flasche Rotwein: Während der Festtage fliesst der Alkohol in Strömen in unsere Mägen. Um den Überkonsum im Dezember auszugleichen, eignet sich der Monat Januar – verbunden mit Neujahrsvorsätzen – bestens, um einen «Trockenmonat» einzulegen. Die Konsumforscherin Mirjam Hauser sagte gegenüber watson, dass sich immer mehr Menschen in der Schweiz für den Januar vornehmen, nichts zu trinken.
In Grossbritannien leiden die Pubs zum Jahresanfang jeweils unter einer Bier-Durststrecke. Auf der Insel ist der «Dry January» zur Institution geworden. Etwa zwei Millionen Briten machen jeweils bei der Kampagne der Hilfsorganisation «Alcohol Concern» mit und verzichten 31 Tage lang auf jegliche alkoholhaltige Getränke. Auch die Australier kennen den Trockenmonat im Winter. In Down Under fällt dieser geografisch bedingt auf den Juli.
Eine einmonatige Abstinenz mache für den Durchschnittstrinker durchaus Sinn, sagt Toni Berthel, Direktor Sucht bei der Integrierten Psychiatrie Winterthur: «Ich empfehle, es auszuprobieren. Es kann eine sehr wertvolle Erfahrung sein.» Viele Menschen würden erst während eines solchen Monats merken, wie normal das Trinken für sie mittlerweile geworden ist. Auch gesundheitlich gibt es einige Aspekte, die für diesen Selbstversuch sprechen.
Obwohl die meisten Menschen nach einigen Gläsern besser einschlafen können, sind sie am nächsten Morgen nicht ausgeruhter. Das Gegenteil ist der Fall: Wenn der Körper mit dem Abbau von Alkohol beschäftigt ist, leidet die Schlafqualität. Das gilt nicht nur für die Nacht, in der Alkohol abgebaut wird, sondern wirkt sich auch auf die folgenden Nächte aus. Und je mehr Alkohol man konsumiert, desto eher muss man sich mit Albträumen durch die Nächte kämpfen, weil die REM-Schlafphase durch den Alkohol überstrapaziert wird.
Solange wir tagsüber oder am Abend etwas trinken, ist die Leber mit dem Abbau von Alkohol beschäftigt. Wenn wir aber einmal verzichten, hat die Leber Zeit, sich zu regenerieren. Nachweisbare Schäden wie alkoholbedingte Entzündungen oder eine Fettleber können sich in einem Monat teilweise zurückbilden. Im Jahr 2013 machten 14 Redaktoren des Wissensmagazins «New Scientist» den Selbstversuch und liessen sich vor und nach ihrem Trockenmonat untersuchen. Das Resultat: Sie hatten durchschnittlich 15 Prozent weniger Fett in der Leber.
Alkoholhaltige Getränke sind Kalorienbomben. Wenn man wöchentlich grössere Mengen an Alkohol konsumiert, nimmt man Tausende Kalorien auf, aus denen der Körper keinen Nutzen ziehen kann. Er legt Fettdepots an – man wird dicker. Wenn diese Getränke nun für einen Monat wegfallen und man seine bisherige Ernährung beibehält, purzeln die Kilos. Hinzu kommt, dass die vorrätige Zeit beispielsweise am Sonntagmorgen – die sonst im Bett oder auf dem Sofa verbracht wird – für sportliche Aktivitäten genutzt werden kann. Im Schnitt nahmen die Redaktoren des «New Scientist» bei ihrem Experiment 1,4 Kilogramm ab.
Alkoholkonsum ist kostspielig. Gerade wenn man eine Bar oder einen Nachtclub besucht, kostet ein Cocktail in der Schweiz schnell über 15 Franken. Dann kommt je nach Uhrzeit auch noch die Taxifahrt hinzu, weil man nach Erreichen von 0,5 Promille laut Gesetz kein Auto mehr fahren darf.
Oft trinken wir in Gesellschaft. Wenn wir als einzige Person jedoch einmal nicht mittrinken, kann das einem die Augen öffnen. Vielleicht ist das Verhalten der Gruppe ja doch nicht so lustig, wie es angetrunken immer scheint? Ausserdem ist es eine gute Möglichkeit, sein Trinkmuster festzustellen, beispielsweise in welchen Alltagssituationen man sich in «normalen» Monaten ein Gläschen genehmigt. Das kann helfen, das Trinkverhalten später kontrollierter und bewusster zu gestalten.
Dass der Trockenmonat ein nicht ganz so einfaches Unterfangen ist, liegt einerseits an den Trinkgewohnheiten. Beim Abendessen auf das Bier oder beim gemütlichen TV-Abend mit der Freundin auf das übliche Glas Wein zu verzichten, ist für die meisten eine echte Herausforderung. Andererseits gilt es auch den gesellschaftlichen Druck auszuhalten. Beim Geschäftsapéro muss man sich plötzlich erklären, warum man mit Wasser anstelle von Wein anstösst. Oder im Ausgang mit Freunden, wenn Sprüche und Häme auf einen einprasseln. Hier zeigt sich erst, wer unter dem Druck nachgibt und doch wieder zum Cocktail greift und wer wirklich trocken bleibt.
In Grossbritannien gibt es Experten, die den «Dry January» kritisieren. Ian Hamilton, Dozent für Gesundheitswissenschaften an der York University, äusserte sich besorgt über die Auswirkungen, die eine Abstinenz auf Zeit mit sich bringen kann. Die Teilnehmer könnten sie als Erlaubnis verstehen, den Rest des Jahres zu ihrer gewohnten Trinkmenge zurückzukehren. Dem Experiment haftet zudem der schlechte Ruf an, dass es ein Zeichen für ein tiefgründiges Problem oder eine Alkoholsucht sei. Dem widerspricht Toni Berthels: «Man sollte das nicht pathologisieren. Der Wille für eine Abstinenz auf Zeit geht nicht einher mit einer Alkoholsucht.»
Der Selbstversuch eignet sich jedoch nicht für alle Personengruppen. Alkoholabhängige riskieren unter Umständen ihr Leben. Die Symptome eines trockenen Entzugs können im Extremfall so heftig ausfallen, dass die betroffene Person ins Koma fällt oder stirbt. Toni Berthels: «Wer alkoholsüchtig ist, sollte einen Entzug deshalb immer unter professioneller Anleitung durchführen.»
Ein Trockenmonat ist kein Heilmittel gegen durch Alkohol bedingte Folgeschäden. Die Abstinenz auf Zeit kann aber helfen, dem goldenen Weg auf die Spur zu kommen, einen Kompromiss für sich zu finden: einen bewussten Umgang mit der Gesellschaftsdroge Alkohol.